Berührung ist ein persönliches, ein psychologisch-medizinisches, aber auch ein zentrales politisches Thema. Ob im Privatleben oder in der Medizin, ob im Behördenalltag oder an vielen Arbeitsplätzen, ob in der Kunst oder in der Politik: Die zwischenmenschliche Interaktion wird zunehmend in eine körperlos-virtuelle Welt verlagert. Hier können wir Nähe simulieren und zugleich Distanz halten; hier können wir uns mittendrin fühlen und sind dennoch allein.
Wir sehnen uns nach Berührung, aber wir schotten uns auch ab. Gegen Berührung im körperlichen wie im metaphorischen Sinn. Abkapselung aus Angst vor Gefühlen oder Krankheit, aus Angst vor der Überforderung durch die Vielzahl an bedrohlichen Nachrichten. Und Abstumpfung als Schutz vor Ohnmachtsgefühlen oder Schmerz.
Die berührungslose, unnahbare Gesellschaft ist in weiten Teilen der Bevölkerung Realität. Wobei wir hier eben nicht nur von körperlicher Berührung sprechen, sondern ebenfalls von seelischer oder geistiger Berührung – und davon, ob wir mit abgestumpften Gefühlen und verkümmertem Tastsinn unsere Um-Welt noch begreifen und gestalten können. Die moderne Neurobiologie weiß, dass der primäre Trieb des Menschen, dass seine biologische Grundmotivation die Aussicht auf soziale Gemeinschaft und auf die Zuwendung anderer Menschen ist. Ohne Gemeinschaft und Anerkennung, ohne Wärme und Berührungen werden Menschen aggressiv, einsam und manipulierbar. Sie verlieren die Fähigkeit zum Mitgefühl, die Fähigkeit zu vertrauen – und die Fähigkeit, zwischen Freunden und Feinden zu unterscheiden.
Trotz sozialer, politischer und auch psychologischer Unterschiede befinden wir uns gemeinsam in einer gesellschaftlichen Krise der Berührung, der Nahbarkeit, die schon lange vor Corona begonnen hat; eine Krise, die unser Körpergefühl, unsere Weltwahrnehmung und unsere Fähigkeit zur Kommunikation verändert.
Die Autorin Gabriele Gillen ist leider erkrankt und kann ihren angekündigten Text nicht lesen. Stattdessen gibt es Texte und ein Gespräch zum Thema mit der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Gabriele Gysi. Es moderiert die Schauspielerin Philine Conrad.
Gabriele Gysi lebt als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin in Berlin. Nach dem Studium wurde sie an die Volksbühne Berlin von Benno Besson engagiert und spielte während dieser Zeit auch bei Frank Castorf in Anklam. 1984 verließ sie die DDR und ging zu Claus Peymann nach Bochum. Seit 1987 inszeniert Gabriele Gysi an verschiedenen Theatern im deutschsprachigen Raum, an der Volksbühne war sie unter Frank Castorf Chefdramaturgin. Heute arbeitet sie freischaffend an verschiedenen Theatern und unterrichtet an der Universität für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg.
Gabriele Gillen ist Dramaturgin und Autorin verschiedener Sachbücher – u.a. „Hartz IV – Eine Abrechnung“, „Froschköniginnen. Einblicke in ein artgerechtes Leben“ oder „Schwarzbuch Deutschland. Handbuch der vermissten Informationen“ (alle erschienen im Rowohlt Verlag).
Die Geigerin Marta Murvai lebt in Berlin und tritt als Solistin und Kammermusikerin auf, unter anderem in der Berliner Philharmonie, der Hamburger Elbphilharmonie, dem Berliner Konzerthaus und der Staatsoper Unter den Linden. Marta Murvai konzertiert regelmäßig in ganz Europa mit Musikern der Berliner Staatskapelle, der Berliner Philharmoniker, des Gewandhauses, der Deutschen Oper sowie mit Ensembles der Musikhochschulen in Berlin, Frankfurt, Rostock, Hamburg und Freiburg. 2021 gründete sie mit Philine Conrad die Künstlerinitiative Kultur ist Leben.
Die Veranstaltungsreihe Freies Wort – Freie Musik ist eine Kooperation des Theater am Rand e.V. und der Initiative Kunst ist Leben, einem Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Sparten: Schauspieler, Musiker, Opernsänger, Regisseure, bildende Künstler, Fotografen, Schriftsteller, Filmemacher, Maler ... Sie verbindet der Wunsch, dass Kunst und Kultur in diesem Land lebendig bleiben und gerade in Krisenzeiten weiter stattfinden können.
Sehen Sie ein kurzes Video vom Beitrag Tobias Morgensterns beim Festival Kunst ist Leben Ende Januar in Berg am Starnberger See: